Ich sehe, höre, rieche, schmecke, taste, habe körperliche Empfindungen, fühle und denke. Dieses sind die ersten acht Ströme meines Erlebens und des eines jeden Menschen. Es gibt keinen Menschen auf der Erde, der nicht fühlt, keinen, der nicht denkt und keinen, der und die keine körperlichen Empfindungen hat.
Diese ‹Ströme› haben, aus Sicht des Ichs als ‹Betrachter›, Inhalte. In vollkommener Stille ist mein Sehen ohne Inhalt, in vollkommener Lautlosigkeit ist mein Hören ohne Inhalt, im Vakuum des Weltalls wäre mein Riechen ohne Eindruck. In machen, mir zumeist kostbaren Momenten, sind meine Gedanken zur Ruhe gekommen, mein Fühlen tritt in manchen Momenten zurück und auch mein Körperempfinden kommt zur Ruhe.
All dieses erlebe ich auch. Mein Erleben und ich, der Erleber, sind damit mehr als nur der Inhalt der Ströme. Indem ich mich als Betrachter erfahre, bemerke ich meine Fähigkeit, «in meinem Erleben» zu wandern.
Meditation zur Aufmerksamkeit
Finde einen ruhigen und geschützten Moment, einen Raum für dich. Finde eine für deinen Körper bequeme Position, sitze oder stehe aufgerichtet und atme einige Male unangestrengt ein und aus. Blicke entspannt geradeaus, ohne etwas zu fokussieren.
Gehe nun im Geiste die Ströme deines Erlebens durch. Lasse deiner Aufmerksamkeit freien Lauf und widme dich immer demjenigen Strom, der dir in den Sinn kommt. Richte stets deine volle Aufmerksamkeit für eine Weile allein auf das Geschehen in diesem Strom und kehre nach einer Zeit der Hinwendung wieder zu dir als Beobachter aller Ströme zurück. Erlebe so für eine Weile, bis du alle Ströme einmal aufgesucht hast.
Atme tief ein und aus. Sammele all deine Präsenz in dir selbst. Ruhe ganz in dir selbst. Gelingt es dir, mehr als einen Strom zugleich zu erleben?
Wenn wir hochzivilisierten Menschen der von uns so erdachten ‹ersten Welt› ganz ehrlich auf die Frage «Wo bin ich?» antworten würden, dabei aufrecht stehen, die Augen schließen und mit dem Finger auf den Ort der Antwort zeigen würden, so würde sich bei fast allen Menschen «des Alltags» derselbe Ort zeigen.
So viele von uns ‹sind› überwiegend im Denken, sind überwiegend mit dem Denken und dem Inhalt ihrer Gedanken beschäftigt. Dieses ‹Sein› zeigt den Ort des Erlebers auf, der sich zwischen den Strömen bewegen kann: Die Aufmerksamkeit. Mal bin ich «ganz aufmerksam» bei dem Menschen vor mir, richte alle meine Wahrnehmung ganz auf ihre oder seine Worte, seinen Ausdruck und sein Empfinden. Mal bin ich ‹abgelenkt›; der Mensch vor mir spricht zu mir, doch ich bin «mit meiner Aufmerksamkeit woanders».
Meine Aufmerksamkeit ist weder ein Sinneseindruck, Körperempfinden, Fühlen, Denken noch ein eigener Strom des Erlebens. Ich selbst kann mich nicht von meiner Aufmerksamkeit trennen.¹
Ich bin aufmerksam. Ich habe Aufmerksamkeit für jemanden oder etwas. In jedem Moment ist meine Aufmerksamkeit an einem Ort und in einer Zeit. Mal verweilt sie, mal springt sie, mal lenke ich sie auf etwas. Mal ist sie konzentriert und mal weit. Sie weilt mal in einem Strom allein und mal breitet sie sich über Ströme des Erlebens hinweg aus. Im weiten Zustand nehme ich Mitmenschen, das Geschehen um mich und mich selbst zugleich wahr.
Zum Weiterforschen
Wer bin ‹ich›? Bin ich meine Aufmerksamkeit, wenn ich mich doch nicht von ihr trennen kann? Ist meine Aufmerksamkeit und ich, der Betrachter meines Erlebens, das- und derselbe?
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¹ jahnna - das Buch der Menschen, Betrachtungen, Untersuchungen und Übungen zur eigenen Aufmerksamkeit u. a. im Abschnitt: «wo bin ich?». Der Ort und Zustand der Aufmerksamkeit in vielen von uns benannten Emotionen. jahnna Verlag, 2014, Überlingen
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